Werdet wie die Kinder sind

Das Problem ist für mich nicht, dass wir bei der Erziehung Fehler machen, sondern dass wir die Fehler nicht erkennen, sie nicht einsehen und sie an die nächsten Generationen immer wieder weiter geben.
(Norbert Rogsch)

Ich bin bisher zwar kein großer Bibelleser, trotzdem will ich zu Anfang dieses Beitrages mit einer Stelle aus der Bibel beginnen, die vor lauter Gerede darüber, dass Kinder Vater und Mutter ehren sollen, irgendwie in Vergessenheit geraten ist.

„Auf die Frage der Jünger, „Wer ist der Größte im Reich der Himmel”, antwortet Jesus mit einer bildhaften Handlung, die die Jünger verwundern muss. Er ruft ein Kind herbei, und stellt es in ihre Mitte. Die Belehrung folgt dann mit der Feststellung: „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr keinesfalls in das Reich der Himmel hineinkommen.” – Matthäus 18/3.

Was für eine geniale Belehrung die uns Jesus vor über 2000 Jahren offenbarte. Doch was haben wir und all die Religionen daraus gemacht? Wenn wir ehrlich sind, wenig bis nichts.
Welche älteren Menschen interessiert es, so zu werden wie die Kinder sind?
Die Kinder sollen gefälligst so werden wie wir Älteren. Kinder sollen so werden wie wir, die sich Erwachsene nennen dürfen.

Mit der Geburt eines Kindes glauben Eltern, Omas, Opas, Lehrer, Pfarrer (und wer sonst noch glaubt etwas Wichtiges den Kinder sagen zu können), sie müssten ihren Kindern zeigen wie das Leben rennt.
Sie glauben, sie müssten den ganzen Tag so tun, als wüssten sie Bescheid, während sie in Wirklichkeit zutiefst unsicher sind und durch ihr abgeschnitten sein von ihrer eigenen Urquelle, keine wirkliche Ahnung mehr vom Leben haben.
Sie behandeln ihre Kinder, als wären sie irgendwie etwas dumm im Kopf und glauben sie müssten ihnen bei allem helfen.
Ständig sind sie am reden, mach das so, und das so, du musst den Löffel so halten und die Gabel so, und so die Hände waschen, so spielt man mit dem Sand und baut eine Burg, und so malst du richtig und so ist es falsch, und, und, und.
Kinder haben kaum eine Chance etwas auszuprobieren, weil sich die Hände der Eltern und Erwachsenen schon wieder dazwischen drängen und zeigen wollen wie es geht.
Fast könnten wir meinen,  Eltern und Erwachsenen sind selbst ganz stolz darauf, dass sie endlich jemandem zeigen können, dass sie auch was wissen, können und zu sagen haben.

Aber was können Eltern und Erwachsene den Kindern schon wirklich geben?
Obwohl Eltern ihr Bestes geben, im Rahmen ihres Könnens und Wissens, im Rahmen ihrer Liebesfähigkeit, alles für ihre Kinder tun, sind sie selten in der Lage, ihren Kindern das zu geben, was sie wirklich für eine gesunde Entwicklung brauchen.
Trotz aller elterlichen Mühen, ist das, was sie ihren Kindern geben, oft viel zu wenig.
Sie geben ihren Kindern unwissentlich so viel von etwas, was so wenig von Bedeutung ist und verkaufen es ihren Kindern, als wäre es das absolute Geheimnis des Lebens.
Dabei ist es leider in vielen Fällen, trotz bester Absichten, kaum einen Pfifferling wert.

Eltern und all die anderen Bescheid wissenden sagen dem Kind, du musst erwachsen werden, du musst dich der Gesellschaft anpassen und ein anständiger Bürger werden. Du musst viel lernen und in die Schule gehen. Du musst eine Ausbildung machen, die zwar keinen Spaß macht, aber womit du Geld verdienen kannst. Sie sagen du brauchst für alles eine Versicherung, für dein Haus, dein Leben, deine Gesundheit, für deinen Hund, für deinen Schmuck, oder falls du mal im Restaurant ins Klo reinfällst, um den Gastwirt verklagen zu können.
Weiter sagen sie uns, das Leben ist kein Wunschkonzert, mit dem Erwachsen sein beginnt der Ernst des Lebens, pass dich immer schön brav an, dann kommst du problemlos durch dein Leben, vergiss deine Träume, das sind nur Hirngespinste und so weiter.
Vermutlich sind 90 Prozent (wenn nicht sogar mehr) von dem, was uns unsere Eltern, unsere Verwandten, die Lehrer und die Priester uns beibringen kaum von Bedeutung und wertlos.
Ich bin der Ansicht, all die Erwachsenen von uns, die nicht selbst erfolgreich ihr Leben erfüllt leben, ich meine, wirklich erfolgreich auf allen Seinsebenen, sollten zum Wohle für alle Beteiligten, sofort damit aufhören, ihren Kindern erklären und sagen zu wollen, wie sie ihr Leben meistern können.
Genauso sollten sie sofort damit anfangen, ihrem Kind zu sagen, dass sie Mist gebaut haben und dass sie ihnen etwas über das Leben erzählt haben, obwohl sie im Grunde keine Ahnung haben.
Sie sollten damit anfangen, so ehrlich wie möglich zu sich selbst und zu ihrem Kind zu sein und ihm sagen, „Unser liebes Kind, wir haben vergessen wie das Leben funktioniert und bitte nehme uns nicht ernst und nicht als Vorbild. Wir haben dir zwar unser Bestes und all unsere Liebe gegeben, aber du sollst wissen, das Leben und die Liebe ist noch viel größer, viel schöner, viel besser, viel wunderbarer, als wir es dir gezeigt haben“.

Erinnern wir uns daran, Kinder kommen bei der Geburt frisch vom Himmel, frisch vom Jenseits, frisch von der Quelle ihres Seins. Darum faszinieren uns wohl auch die leuchtenden Augen eines Kleinkindes so sehr, weil wir darin die Weite, die Tiefe und die Unendlichkeit sehen können. Sie sind diejenigen, die noch eine Ahnung davon haben, wer sie sind. Sie sind diejenigen, die noch mit tiefstem Wissen und tiefster Weisheit in Verbindung sind. Sie sind diejenigen, die uns etwas wirklich wichtiges zu zeigen haben.
Eltern und Ältere können ihren Kindern die Dinge zeigen, damit sie sich in der materiellen Welt zurecht finden können. Zum Beispiel, wie es sich im Strassenverkehr verhalten muss um nicht überfahren zu werden, wie das mit dem Geld und einkaufen funktioniert, was es tun muss, wenn es Auto fahren will, wie es an einen Reisepass kommt. Eben die ganz praktischen Alltagsdinge.
Genauso haben Eltern und die Älteren die absolut wichtige Aufgabe den Kindern Schutz, Geborgenheit und Sicherheit zu geben, damit sie sich (angst und sorgen)frei entfalten und entwickeln können.
Aber wenn es um wirklich tiefste Lebensfragen geht, sollten wir uns neben unseren Kindern hinsetzen, uns erlauben still zu sein und einfach nur beobachten, lernen und staunen.
Dann werden wir vielleicht sehen, dass unsere Kinder stundenlang eine Sache machen können ohne dass es ihnen dabei langweilig wird. Ja, sie können über etwas staunen, was für uns lächerlich geworden ist. Sie freuen sich beim 100sten Rutschen genauso, als wäre es das erste mal. Sie machen sich dreckig und verschwenden keine Zeit darüber nachzudenken, was wohl die anderen jetzt von ihm denken. Sie tanzen, schreien, singen, lachen lauthals, verhalten sich verrückt, reden mit Geisteswesen, fangen den Wassertropfen mit dem Mund auf und springen lustvoll in jede Pfütze, die ihnen in dem Weg kommt.
Kinder können uns so viel vom wahren Leben zeigen, vorausgesetzt wir sind offen und demütig genug.
Denn wenn wir wirklich bereit dazu sind uns und unser Ego, das sich jetzt als Vater, Mutter und Älterer besonders mächtig und wichtig vorkommt zurücknehmen, fällt ein enormer Druck von uns ab. Dieser abgefallene Druck sorgt dann wiederum dafür, dass wir immer mehr entspannen, abschalten, genießen und einfach nur mit unseren Kindern da sein können.
Wir dürfen nicht nur als Menschen, sondern auch als Eltern Schwächen haben und  müssen als Erwachsener nicht immer  stark sein. Wir dürfen nicht Bescheid wissen, dürfen uns verwundbar zeigen, dürfen ratlos sein, dürfen keine Ahnung haben,  dürfen unsicher sein, Fehler machen und nicht perfekt sein.

Am Ende werden besonders Eltern vielleicht das Wunder erleben, dass trotz aller anfänglichen Herausforderungen, Unsicherheiten, Probleme und Schwierigkeiten, es für sie mit der Zeit mit ihren Kindern immer einfacher, müheloser, spannendender, abenteuerlustiger und erfüllender wird, als sie es sich je haben erträumen lassen.
Es wird dann eine ganz andere Sache sein, als wenn sie als Eltern ihre Kinder über Bevormundung, Angst einjagen, ständigem Druck, Gewalt, Bestrafung und Machtmissbrauch dazu bringen wollen, dass sie einfach, pflegeleicht, berechenbar und kontrollierbar sind.

Machen wir uns am Besten auch bewusst, dass jeder die Absicht hat, Eltern wie Kinder, sich innerhalb der Familie gut, wohlig, leicht, unbeschwert, sicher und geborgen fühlen zu wollen, sich entspannen zu wollen, sich angstfrei bewegen, zeigen, ausdrücken und mitteilen zu wollen.

Ich bin sicher, wenn Eltern als Verantwortliche damit anfangen heraus zu finden, wie sie das Ziel der familiären Harmonie und dem familiären Gleichgewicht, das Ziel von echten glücklichen Kindern und Eltern herstellen können, wird etwas sehr Heilsames geschehen.
Denn all die Streitereien, die ganzen Kleinkriege und Machtkämpfe führen nur dazu, dass Eltern und Kinder sich immer weiter entfremden, sich voneinander entfernen und alle darunter leiden.

Also, ich bin der Ansicht, solange wir selbst nicht wieder in unser tiefstes Sein und unserer tiefsten Weisheit angekommen sind, finde ich es sehr ratsam, dass wir bei unseren Kindern nicht die großen Wissenden spielen und dass es besser ist, dass wir damit aufhören, ihnen vorzumachen, als wüssten wir Bescheid, wenn es einfach nicht stimmt.
Lasst uns lieber das tun, was uns Jesus vor über 2000 Jahren ans Herz gelegt hat und lasst uns damit anfangen, von unseren Kindern zu lernen, damit unsere Welt wieder friedvoller, freundlicher, licht- und liebevoller wird.

 

PS: Das Kind und die Pfütze. 🙂

Ich freue mich über Ihre Wertschätzung und Unterstützung:

DANKE!

10 Gedanken zu „Werdet wie die Kinder sind“

  1. Lieber Norbert,
    einfach wundervoll geschrieben <3 Danke für deine Klarheit. Ich stimme voll und ganz damit überein, darum würde ich deinen Beitrag gerne als Gastbeitrag auf meiner Website veröffenlichen, wenn du einverstanden bist… (mit Link zu deinem Blog natürlich)
    Herzlichst Monika Anasha

    Antworten
    • Liebe Monika,

      das freut mich sehr zu lesen und ich sage herzlichen Dank für Dein Feedback.
      Sehr gerne darfst Du (und jeder der das möchte) diesen Beitrag teilen. Ich freu mich wenn mein Beitrag viele Menschen erreicht, er zum Nachdenken anregt und vielleicht den einen oder anderen auf oder wachrüttelt.

      Liebe Grüße
      Norbert

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  2. Erkennen, wer und was wir wirklich sind, durch den Spiegel des Wahrhaftigen, des Kindes, führt uns zurück zur Basis. Wenn wir unser inneres Kind erkennen, achten und uns ihm zuwenden, können wir wieder zurückfinden zu Frieden mit uns selbst und diesen auch nach außen leben. Danke für den wundervollen Artikel <3

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  3. Nichts bleibt wie es ist.
    Das Leben ist ständiger Wandel.
    Wir verschleißen oft unsere Kräfte um einen künstlichen Zustand zu erschaffen und ihn aufrechtzuerhalten. So verspielt man das Leben.
    Das Leben geht immer weiter.
    Es nimmt uns mit.
    Wenn wir einen mitgenommenen Eindruck machen. ist das nicht, weil uns das Leben mitnimmt sondern weil wir nicht mit wollten.
    Franz Josef Neffe

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  4. Dass wir mit unserer “Pädagogik” tatsächlich ALLES verkehrt machen, zeigt sich einfach daran, dass die Probleme mehr und größer statt weniger und kleiner werden.
    Unser sogenanntes Schulsystem ist allenfalls ein Unterrichtungssystem. Unterricht richtet nach unten. Der Zweck von Unterricht ist, dass du unten einübst, dich nach denen oben zu richten.
    Für alles, was VERKEHRT ist gibt u.a. die Bibel schon seit zweitausend Jahren den optimalen Rat zur Lösung. Der heißt nicht: “Mache es immer noch besser!” sondern: “KEHRET UM!”
    Das kann jeder, der es ANDERS haben möchte, sofort tun.
    Wenn man erlebt, wie gut es ihm damit geht, entsteht SOG und man macht es nach.
    Ich freue mich auf den möglichen Erfolg.
    Franz Josef Neffe

    Antworten
    • Dann schauen wir mal, wie viel wir von dem möglichen Erfolg miterleben. Ich finde, es wäre eine tolle Sache, wenn jetzt viel positiver Wandel stattfindet und das nicht nur in unserem Schulsystem, sondern auf allen Ebenen unseres Menschseins, ins besonders in der Kinderbegleitung.

      Auf dieser Seite habe ich auch auf dein Kommentar geantwortet

      http://norbert-rogsch.com/am-anfang-ist-erziehung-2/

      Falls du da noch mal schauen willst.

      Liebe Grüße
      Norbert Rogsch

      Antworten
  5. Fehler heißen Fehler, weil sie uns zeigen sollen, was fehlt.
    Unsere Pädagogik quält und bestraft einen für Fehler, da lernt man Fehler misszuverstehen und gerät in eine Sackgasse.
    Solange Kindern nichts fehlt, machen sie kaum Fehler.
    In den Unterrichtsvollzugsanstalten, die wir völlig irreführend “Schule” nennen, fehlt alles Wesentliche.

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    • Gefällt mir dein Kommentar und deine Sichtweise über Fehler und was unsere „Schulen“ angeht.
      Ich finde auch, dass unseren Schulsystemen viel (ob alles, weiß ich nicht) Wesentliche fehlt und freue mich, wenn die krankmachenden Schulsysteme eines Tages, (am liebsten sofort), der Vergangenheit angehören.

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