Wenn nach vorne nichts mehr weiter geht,
uns Vergangenes vielleicht im Wege steht.
(Norbert Rogsch)
Eine Weisheit, der ich mich heute widme und die besonders in spirituellen Kreisen sehr beliebt ist, ist der Spruch, lebe im Hier und Jetzt, deine Vergangenheit ist vorbei und deine Zukunft noch nicht da.
Einfach ein super Spruch, der immer geht, wenn nichts mehr geht.
Nicht, dass ich diese Weisheit schlecht finde. Nein, ich finde sie sehr gut und nehme sie ernst. Nur bin ich der Meinung wir sollten diese und andere Weisheiten mit Bedacht, weise und zu einem stimmigen Zeitpunkt über unsere Lippen gleiten lassen.
Leider hauen wir oft viele dieser Weisheiten einfach raus, spüren in Wirklichkeit aber nicht, dass was wir da gerade sagen, für die Person und deren Situation gerade vollkommen unpassend und nicht hilfreich ist.
Daher ist es manchmal um ein vielfaches denke ich heilsamer, wenn wir anstatt anderen zu sagen, dass sie doch einfach im Hier und Jetzt leben sollen, mit unserem Herzen mitfühlend sehen und verstehen können, dass es viele Menschen gibt, die eine mehr oder weniger schmerzhafte Vergangenheit, besonders eine schmerzhaft vergangene Kindheit hinter sich haben, die für viele leider auch zu ihrer heutigen schmerzhaften Gegenwart geworden ist.
All die Glaubenssätze, die Prägungen, die Bilder, die Gewalt, den Missbrauch, den wir von unseren Eltern in der Kindheit mitbekommen haben, sind zwar in einer vergangenen Zeit entstanden und geschehen, dennoch bestimmen sie oft unser Leben in der Gegenwart und überschatten wie eine dunkle Wolke unser Leben im Hier und Jetzt.
Ich finde, dass das gerne von uns übersehen, verdrängt und ignoriert wird, auch von denjenigen, die sich Psychologen, Heiler, Coaches und Therapeuten nennen.
Mitunter kommt es mir eher so vor, dass viele, die davon sprechen, dass wir doch in der Gegenwart leben sollen, in einem so rasant schnellen Tempo in ihrer Gegenwart unterwegs sind, dass in mir der Eindruck erweckt wird, dass sie sich eher auf der Flucht vor dem Grauen ihrer Vergangenheit befinden.
Ich vermute auch, dass viele alles Erdenkliche dafür tun, dass es in ihrem Leben ja nicht zum Stillstand kommt, weil ihnen die Angst im Nacken sitzt, dass ihrer Vergangenheit sie einholen könnte. Sie wollen zwar ins Jetzt kommen, aber ohne dabei sich ihre Wunden, die sie mit sich herumtragen, anschauen zu müssen.
Genau da sehe ich auch eines unserer großen Menschheitsprobleme. Wir versuchen seit etlichen Generationen in die Gegenwart, ins Hier und Jetzt zu kommen, (was ich eine tolle Idee finde,) haben das allerdings damit versucht, in dem wir alles Negative und die Schatten aus unserer Vergangenheit verdrängt und verbannt haben.
Gutes Beispiel ist vielleicht der zweite Weltkrieg, den viele Menschen irgendwie und schwer traumatisiert überstanden haben.
Wie wir von vielen Berichten und Erzählungen wissen, ging es den Menschen damals nach Kriegsende darum, das Land wieder aufzubauen, die Kriegszeit schnell wieder zu vergessen und zur Vergangenheit werden zu lassen. Was damals leider verpasst wurde war, die ganzen traumatischen Geschehnisse, die ganzen Verluste, das ganze erlebte Leiden wirklich zu verarbeiten, zu betrauern und heilen zu lassen. Dieses nicht heilen lassen dieser schlimmen Wunden hat wiederum dazu geführt, dass sich damit noch heute viele Menschen mühselig belastet durch ihre Gegenwart schleifen und mehrere nachkommenden Generationen daran zu knabbern haben, und das obwohl 70 Jahre seitdem vergangen sind.
Ein anderes Beispiel sind sicherlich Erlebnisse aus unserer Kindheit, wo wir von unseren Eltern geschlagen, misshandelt, missbraucht, entwertet und gedemütigt wurden und die viele Kindern in ihrem erwachsenen Leben auch heute noch in ihren Knochen und Kleidern sitzen haben. Ich denke zum Beispiel dabei an Menschen, die aufgrund schwerer Kindheitstraumata heute in ihrer Gegenwart mit Angstzuständen, Panikattacken oder Depressionen zu kämpfen haben.
Denn wir vergessen oft, dass sich alles, besonders das, was wir verdrängen, sich irgendwo und irgendwann in unserer Seele verankert, sich in die Zellen unseres Körpers einbrennt und später sich auch in unserem Körper widerspiegeln wird. Ob als Flachatmung, ob als Rückenschmerzen oder Bandscheibenvorfall, ob als Migräne oder Kopfschmerzen, ob als Übergewicht oder Magersucht und ob als was auch immer.
Unser Körper wird eine ständige Erinnerung an das sein, was wir in unserer Vergangenheit verdrängt und in die Gegenwart mitgenommen haben. Unser Körper wird, bis zur unserer Bereitschaft die Wunde heilen zu lassen, ständig sagen, hier hängt noch etwas Schweres, Schmerzhaftes, Leidvolles und Ungeheiltes aus deiner Vergangenheit an dir, bitte kümmere dich darum.
Doch meistens wollen wir einfach nur unsere Ruhe vor dem haben, was uns einst in unserer Kindheit so schwer zugesetzt hat. Ist für mich verständlich, denn wer will schon gerne an den Ort zurück, wo er viel Leid erfahren hat. Nur so lösen wir unsere Probleme nicht. Besonders dann nicht, wenn andere uns immer wieder sagen, dass uns die Erlebnisse aus unserer Vergangenheit nicht mehr zu interessieren brauchen.
Wohin uns all diese Versuche durch Verdrängung unserer Vergangenheit in die Gegenwart kommen zu wollen geführt haben, können wir denke ich ganz einfach daran sehen, wenn wir uns unser Weltgeschehen ansehen.
Kinder werden weiterhin von ihren Eltern geschlagen, tyrannisiert, gepeinigt, erniedrigt, ausgenutzt.
Unsere schulischen Unterrichtungssysteme zerstören immer noch die Lernlust und die Kreativität der Kinder und konditionieren sie dazu, reine Verstandesmenschen zu werden ohne Herz und Begeisterung.
In einigen Völkern und Kulturen werden immer noch junge Frauen und Männer zwangsverheiratet, beschnitten und die Geschlechtsteile verstümmelt.
Es gibt weiterhin Kriege, um der Macht willens, um des Recht haben willens und im Sinne der Glaubensreligion.
Unsere Natur wird weiterhin von uns Menschen gnadenlos ausgebeutet und zerstört.
Wir essen immer noch eine Unmenge an Fleisch, töten dadurch weiterhin viele Tiere und halten sie mehr denn je auf sehr qualvolle Weise in unwürdigen Zuständen gefangen.
Unsere zwischenmenschliche Kommunikation und unser Umgang untereinander ist weiterhin oft grauenvoll und zerstörend.
Wir reden immer noch zu viel über Unwesentliches und zu wenig was von wirklicher Bedeutung ist.
Und, und, und,….
Daher denke ich, dass es mehr denn je an der Zeit ist, unserer „Gegenwarts-Vergangenheit“ sehr wohl Augenmerk zu schenken und dafür Sorge zu tragen, dass unsere Vergangenheitserlebnisse heute Heilung finden können und das nicht durch Verdrängung und Ignoranz, sondern durch Bewusstwerdung.
Ich finde, wir sollten uns lieber gegenseitig dazu ermutigen und unterstützen, dass wir uns unserer Vergangenheit stellen und Wege dazu finden, sie heilen lassen zu können.
Ich finde, wir sollten uns lieber gegenseitig sagen, schau was hängt noch aus deiner Vergangenheit an dir, was dazu führt, dass du Jetzt, hier in der Gegenwart nicht das Leben deiner Träume lebst.
Wir sollten uns gegenseitig fragen, welche Prägung, welches Glaubensmuster, welche Traumata haben wir von unseren Eltern und auch durch andere Erlebnisse mit auf unseren Weg bekommen, die dazu führen, dass wir im Hier und Jetzt erfolglos sind, unseren Traumpartner nicht gefunden haben, keine oder nur schlechte Freunde haben, uns in einer unglücklichen Wohnsituation befinden, in Geldnot und Armut leben, in unserem Leben zuwenig Glück und kaum Wunder geschehen.
Ich denke, damit können wir uns in vielen Fällen mehr helfen, als wenn wir uns dauernd sagen, vergiss deine Vergangenheit und lebe im Hier und Jetzt.
Denn ich denke, wenn wir wirklich damit anfangen, uns mutig dem Schatten unserer Vergangenheit zu stellen, werden wir wirklich Heilung erfahren, inneren Frieden finden und sich eine große Ruhe in unserem Herzen breit machen.
Oder was sind Ihre Gedanken dazu?
Ich freue mich über Ihre Wertschätzung und Unterstützung:
DANKE!
ja, die Prägungen der Vergangenheit sind ganz tief in der Festplatte des lebens… bei uns allen mehr oder weniger aktiv…
und im Moment lese ich ein buch… die kraft gelebter Gegenwart von Michael Brown….
hier wird angeleitet zu einer 10wöchigen reise in das persönliche innere mit der Absicht besser fühlen zu lernen, was uns noch aus den prägungszeiten am leben hindert, durch bewusstes atmen und achtsames reagieren werden unverarbeitete Emotionen integriert und damit frieden gefunden…. eine spürbare Erleichterung kann ich erleben
danke für diesen wunderbaren blog…. friedliche lebensgrüße von Mathilde
Liebe Mathilde,
lieben Dank für Deinen Kommentar, das Teilen Deiner Erfahrung mit dem Buch von Michael Brown und für die Worte, dass Du meinen Blog wunderbar findest. Das freut mich sehr zu lesen.
Alles Gute und Liebe für Dich
Norbert
Lieber Norbert
Danke für Dein tiefes Nachdenken, Dein Verständnis und Dein Mitteilen; endlich fühle ich mich verstanden, aufgehoben und gestützt. Obwohl schon 65 jährig, bin ich nach wie vor am Aufarbeiten der seelischen Wunden, die meine narzisstisch geprägte Mutter (inzwischen 94) hinterlassen hat. Wie soll ich vergeben können, was mich während so vielen Jahrzehnten verfolgt und gepeinigt hat. Herandressiert zum braven, angepassten und pflegeleichten Kind habe ich erst nach einem Burnout mit 55 endlich gemerkt, dass ich nicht bis zum Umfallen leisten und gefallen muss, um anerkannt zu werden. Wie tief muss die Prägung gewesen sein, dass ich die Ursachen während Jahrzehnten ausschließlich bei mir selbst gesucht habe.
Danke für Deine trost- und mutspendenden Texte, endlich jemand der uns Betroffene inzwischen längst erwachsenen Kinder ernst nimmt. Es kostet wahrlich schon unfassbar viel Energie, sich gegenüber solchen Eltern abzugrenzen und wer da auch nur im Ansatz als Lösung zu Vergebung rät, hat meines Erachtens keine Ahnung um was es eigentlich geht.
Liebe Grüsse Sonja
Liebe Sonja,
herzlichen Dank für das Teilen Deiner Gedanken, Deiner Gefühle, Dein Erleben und ich freu mich über Deine Rückmeldung und dass meine Texte eine positive Auswirkung auf Dich haben.
Du bist in Deinen Zeilen für mich gut spürbar und ich kann denke ich gut erahnen und mitfühlen, was Du durchgemacht hast, besonders im Bezug zu Deiner Mutter.
Ich wünsche Dir noch viele gute, schöne und erfüllte Lebensjahre, frei von einer Mutter, die vermutlich gefangen in ihrem nicht Lieben können, nicht will und dir es nicht gönnt, dass Du glücklich bist.
Liebe Grüße
Norbert
Lieber Norbert,
Dein Beitrag ist super und passt zu meinen Erfahrungen sehr gut … schön, dass ihn gerade jemand gefunden und geteilt hat 🙂
Liebe Grüße
Liebe Beatrice,
wenn auch etwas verspätet, herzlichen Dank für Deine Rückmeldung. Das freut mich sehr zu lesen. 🙂
Liebe Grüße
Norbert
…….. lieber norbert,
ich bin jetzt wieder auf deinen blog gekommen… namen der naturvölker kann ich dir nicht nennen, ich habe das von marga marek, meiner märchentherapheutin gehört…
aber, das thema sprichst du so deutlich an, dass ich es bis in die letzte zelle spüren kann….
die lösung… anschauen, hinschauen, sich dem schatten stellen und das ist arbeit an mir… bietest du hilfen an… ?
lg mathilde
Liebe Mathilde,
lieben Dank für deine Nachricht und dein Feedback.
Hilfe biete ich derzeit keine an. Aber was nicht ist, kann noch werden. 😉
Lg
Norbert
LIEBER NORBERT !
DIESER ARTIKEL IST GANZ EINFACH WUNDERBAR UND MÖCHTE ICH EIN JEDES WORT DAVON BESTÄTIGEN – LEIDER WIE WAHR !!!
NIEMAND WILL DIE – SO LEIDVOLLEN – VERGANGENEN GESCHICHTEN HÖREN UND SICH SCHON GAR NICHT DAMIT AUSEINANDER SETZEN.
ICH FREUE MICH SEHR DARÜBER, DASS DU DIES TUST UND AUCH, DASS DU DIES MIT SO EINFÜHLENDEN WORTEN AUFGEZEIGT HAST !
DANKESCHÖN UND ALLES LIEBE FÜR DICH !!!
Liebe Claudia,
herzlichen Dank für dein Kommentar. Ich freu mich sehr über deine Zeilen und dass dir dieser Artikel so gut gefällt. 🙂
Ich wünsche Dir auch alles Liebe.
Lieber Norbert,
sehr schöner Artikel! Genau das erlebe ich auch gerade. Und wenn ich mich nicht meiner Vergangenheit stelle, dann holt sie mich wieder ein und stellt mir ein Bein, genau dann, wenn ich es nicht erwarte… darum lieber bewußt damit leben…. wegschauen geht nicht mehr. und das ist gut so, auch wenn es sich nicht immer “gut” anfühlt.
liebe Grüße, kristin
Liebe Kristin,
herzlichen dank für deine Zeilen.
Wie wahr für mich, wenn du schreibst das uns die Vergangenheit irgendwann einholt und uns ein Bein stellt. Genauso wenn du schreibst, dass sich das hinschauen nicht immer gut anfühlt. Finde ich von dir schön formuliert und ich teile deine Ansicht, dass sich das hinschauen nicht (immer) gut anfühlen muss, aber das durch unser (mutiges) hinschauen, wieder alles bei uns “gut” bzw. heil werden kann.
Liebe Grüße
Norbert
danke für diesen befreienden, klärenden text…
die Vergangenheit ist ein teil meines lebens, anschauen, anerkennen und würdigen was war, erst dann geht es weiter
integrieren des erfahrenen, aus fehlern lernen, eine Kultur, die wir uns erwerben dürfen… es gibt naturvölker, wo fehler gemeinsam als entwicklungs und lernchance gesehen werden …
Danke für dein Feedback, Mathilde. 😀
Was mich noch interessiert ist, hast du Namen von den Naturvölkern von denen du schreibst? Wenn ja, finde ich es super, wenn du mir schreibst wie sie heißen.
Liebe Grüße
Norbert
Danke für diesen Beitrag der meinen Sichtweisen sehr Nahe kommt.Meine Sichtweise ,zu Ihrer Einstellung Fleischnahrung ,ist eine andere .Ich denke das die allgemeine Einstellung zur Nahrungsaufnahme geändert werden kann .Alle Wesen wie Pflanzen ,Steine Wasser,Tiere haben Ihren Platz in unserer Welt und ich sehe das es oft ein zuviel an Nahrung genommen wird und auch das weniger bekömmliche .Auf dem Biosektor habe ich bemerkt ist auch eine Entwicklung zu sehen die weniger förderlich ist z.Bsp.zuviel Fremdprodukte die lange Flugstrecken benötigen etc.,der Kunde möchte ein grosses Abwechslungsreiches Angebot und der Ladenbesitzer einen guten Umsatz ,was erst mal verständlich ist und genau ist die Stolperfalle .Auf dem konventionellen Anbau ist eher die Sorge des Massenanbaus und die weniger nahrhafte Qualität.Könnte auch passieren wenn jetzt alle Vegetarier werden und dem jetzigen Smoothiekult (Flüssignahrung)fröhnen. Als Europäer sind wir verwöhnt mit abwechslungsreicher Nahrung und Brauchen wir tatsächlich noch mehr ??ich denke dafür müssen wir alle einen hohen Preis bezahlen bei all dem Ressourcenverbrauch.Eine Einsparung auf allen Ebenen würde uns schon sehr viel weiterbringen .Herzliche Grüsse Christine
Danke Christine für Ihren Kommentar.
Wenn ich ehrlich bin, verstehe ich nicht, welche Einstellung zu meiner Fleischnahrung sie nicht teilen?
Auf welches Geschriebene von mir beziehen sie das?
Ich bin da ganz mit ihnen, wenn sie schreiben, dass alles seinen Platz hat und wir teilweise zuviel unbekömmliche bzw. ungesunde Nahrung zu uns nehmen, zuviel Fremdprodukte über lange Flugstrecken zu uns kommen etc.
Welchen Platz Tiere ihrer Meinung nach haben, ist mir aus ihrem Schreiben nicht klar geworden?
Haben Tiere für sie den Platz, von uns gegessen zu werden, wenn auch vielleicht nur in liebevoller, Biohaltung?
Liebe Grüße
Norbert