Die Herkunftsfamilie ist für das erwachsene Kind nicht das Wichtigste, sondern das eigene Wohlgefühl, die eigene Entwicklung und Selbstentfaltung

Destruktive Familiensysteme wollen meiner Ansicht nach das Kind binden, unten halten und verhindern, dass es sich auf seinen eigenen Weg begibt. Will dann das Kind sein eigenes Lebensglück finden, dann bleibt ihm wohl nichts anderes übrig, als aus diesem System auszubrechen und ohne sie weiterzugehen. (Norbert Rogsch)

Aus meiner Sicht sind für ein nicht volljähriges Kind die eigenen Eltern und die Familie prinzipiell natürlich sehr wichtig und von großer Bedeutung, da es von diesen abhängig und um überleben zu können, auf sie angewiesen ist. Ohne die Eltern (bzw. Menschen, die sich einem Kind annehmen), wird ein Kind nicht überleben. So gesehen ist in dieser abhängigen Zeit, vom Kind aus gesehen die Familie erstmal das Wichtigste.

Allerdings sollte es für ein Kind bei seinen Eltern und seiner Herkunftsfamilie nicht ums Überleben gehen, sondern darum, dass es sich bei den Eltern wohl, geborgen, sicher, geliebt, gehalten, getragen, unterstützt und liebevoll begleitet und gesehen fühlt. Erlebt ein Kind diese positiven, nährenden und kraftgebenden Elemente nur sehr wenig, bis gar nicht von seinen Eltern, weil es ihnen vielleicht an Bewusstsein dafür fehlt, sie selbst noch traumatisiert umher irren, sich nicht weiterentwickelt haben und zur wahren Liebe zu ihrem Kind nicht fähig sind, dann wächst für mich das Kind in einem elterlichen und familiären Umfeld auf, das seine Bedeutung als Familie, so wie sie gemeint ist, verloren hat.
Denn wenn die Familie nicht zum Wohlgefühl des Kindes und später zum erwachsenen Kindes nichts Wesentliches beiträgt, die so wichtige positive emotionale Bindung und emotionale Ernährung nicht ausreichend durch die Eltern und Familie stattgefunden hat und weiterhin ausbleibt, dann hat die Familie aus meiner Sicht, sich selbst aus dem Spiel wichtig zu sein, herausgenommen.

Ob Familie oder nicht, wenn wir mittlerweile als mündige und frei entscheidungsfähige erwachsene Menschen mit anderen keine nährenden, wertvollen, positiven und unterstützenden Erfahrungen machen, dann ist es zu unserem Selbstschutz und für unser Wohlgefühl eine ganz natürliche Entscheidung, dass wir sie diese ab sofort besser meiden.
Als Kinder und Jugendliche hatten wir denke ich schon genug mit einem energieraubenden und destruktiven Menschenumfeld zu tun und waren diesem hilflos ausgeliefert. Daher ist es vollkommen legitim, ja sogar unsere Pflicht uns selbst gegenüber uns als Erwachsene vor solch einem Umfeld in Sicherheit zu bringen und uns davor beschützen. Denn wir alle haben das gleiche Ziel, die gleichen Bedürfnisse. Wir alle brauchen und wollen ein Umfeld, das uns „gut“ tut.

Natürlich können wir auch von negativen Menschenbegegnungen etwas Wichtiges für uns lernen aber das sollten aus meiner Sicht dann keine langfristige Beziehungen und auch nicht unser alltägliches Umfeld sein.

Leider leben wir aber dennoch gerne in toxischen und abnormalen Beziehungen und Umfeld, was an unseren Kindheitsprägungen und Erfahrungen liegt. So finden wir uns immer wieder mit sehr ähnlichen Menschen wieder, die den Erfahrungen gleichen, die wir mit Eltern und unserer Familie gemacht haben. Das ist für mich allerdings ein eigenes Thema.

Eltern und Familie sind für mich dafür da, dass sie einem Kind alles geben, damit es sich generell wohl, richtig, willkommen, geliebt fühlt und sich gesund, angst- und sorgenfrei entwickeln kann. Was nicht heißt, dem Kind alles zu geben, was es will und es grenzenlos gewähren zu lassen.
Kinder brauchen aus meiner Sicht gesunde Grenzen und Grenzerfahrungen. Sie brauchen ein Gefühl, das bin ich und das ist der Andere. Sie brauchen das Gefühl, nicht alles, was ich haben will, ist auch richtig, dass ich es bekomme, egal wie viel ich schreie.
Es gibt Neins für ein Kind, die gut und wertvoll für das Kind sind und es gibt Neins, die dem Kind mehr schaden, als dass sie Gutes bewirken. Wichtig dabei ist denke ich, dass das Kind generell das Gefühl von den Eltern bekommt, dass sie ihm gegenüber wohlwollend, fair, gerecht und liebevoll handeln.
Eltern, die z.B. nach Tageslaune entscheiden, finde ich, sind keine Hilfe für das Kind. So lernt für mich das Kind nur, dass es ständig auf der Hut sein muss und spüren muss, wie gut oder schlecht ist gerade mein Papa, meine Mama drauf. Was dafür sorgt, dass das Kind seine Antennen mehr bei seinen Eltern ausrichtet, als auf sich selbst. Oder wenn die Eltern zu dem Kind sagen, es bekommt keine Süßigkeiten mehr, während die Eltern sich weiter die Schokis reinstopfen, vielleicht noch mit einem sadistischen Lachen im Gesicht, finde ich auch nicht sinnvoll. Aber solche Spielchen sind in vielen Familien denke ich der Alltag.
Wir sind größer, schlauer, stärker, wissen besser Bescheid, haben mehr Macht und können bestimmen wie wir wollen, so die Eltern, wenn auch vielleicht nicht bewusst.

Am Ende geht es nach einer Kindheit, Jugendzeit und vielleicht etliche Jahre als Teil der Herkunftsfamilie für mich darum, mich zu fragen, was bringt das Zusammensein mit den Menschen mir noch? Was habe ich als eigenständige Seele davon? Nimmt es mir oder gibt es mir mehr Energie? Sind zum größten Teil die Begegnungen und Gespräche mit meiner Herkunftsfamilie eine reine Freude und nährt meine Seele, wo ich gerne in Kontakt bin? Würde ich mit diesen Menschen gerne meine Zeit verbringen wollen, wenn sie nicht meine Eltern, Geschwister, Omas,…wären?
Solange der Austausch und die Begegnungen untereinander für alle Familienmitglieder ausreichend positiv, nährend und gut sind, also alle etwas davon haben und das Geben und Nehmen in einem gesunden Gleichgewicht ist, dann nimmt aus meiner Sicht die Familie eine wichtigen, schönen und gesunden Platz für das Kind ein. 
Wenn das allerdings nicht der Fall ist und das Kind leidet mehr unter den familiären Umgangsweisen und Gepflogenheiten, dann finde ich es mehr als wichtig, richtig und gut, wenn sich das Kind davon distanziert.

Denn für mich steht außer Frage, dass das eigene Herz, das eigene seelische Wohlgefühl und die eigene Entfaltung als Seele immer vor der Familie steht.
Wenn also mein Wohlgefühl unter den Menschen, die sich meine Familie nennt, leidet, dann ist es mein Recht und meine Pflicht, mein inneres Kind zu schnappen und es an einen besseren Ort zu bringen.

Ich selbst habe viele Jahre damit gerungen, aus der Familie zu gehen und alles Erdenkliche versucht, dass wir eine „richtige“ Familie sind, wo echte, menschliche, faire und gesunde Kommunikation und Umgang stattfindet aber vergebens. 
Zu gehen war die einzig logische Möglichkeit und Konsequenz, die ich bis heute nicht bereue. Mein damaliges Gehen hat sicherlich keine permanente Glücksfontaine in meinem Leben ausgelöst, doch eine enorme Befreiung und Erleichterung gegenüber sinnlosem, destruktivem und entwertenden Miteinander, gegenüber überflüssigen ICH MUSS Verbindlichkeiten, gegenüber einer Reihe an Heuchelei und was sind wir doch für eine gute und tolle Familie.

Sich von der eigenen Herkunftsfamilie zu distanzieren ist für mich ein großer und oft unumgänglicher Schritt auf dem Weg, um sich selbst, um seine eigene Lebensweise und um sein wahres Wohlgefühl besser kennenzulernen und zu finden. 
Dass durch die Distanz zu Eltern und Herkunftsfamilie sich alles gleich zum Besseren wendet, kann ich nicht bestätigen. Was ich aber für mich weiß ist, dass die Distanz einem neue Räume offenbaren kann und einem die Zeit geben kann, um die Wunden heilen zu lassen, um uns selbst (wieder) finden zu können, um unser wahres Ich und unsere Potenziale entdecken und entfalten zu können.

Ich bin der Meinung, Eltern und Familie, die sich wirklich den Status Wichtig erarbeitet haben und die wirklich nährend, positiv und bestärkend für ihr Kind da waren, werden wohl immer in einem guten und innigen Kontakt mit ihrem Kind sein, egal, wo es lebt und wie oft sie voneinander hören. Da gibt es keine Appelle und Forderungen an das Kind wie, du musst so und so sein, du musst dich ständig dann und dann melden und zu Besuch kommen. Da gibt es keine offenen oder unterschwelligen Vorwürfe und Eingebungen von Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen und das Gefühl, so wie du bist und dich verhältst, bist du falsch, schlecht und böse. Gesunde Eltern und Familien, die es meiner Erachtens noch viel zu wenig gibt, sind relaxt, entspannt, haben einen eigenen Lebensinhalt unabhängig vom Kind und vertrauen auf den Fluss des Lebens.

Sorgen machen müssen sich nur die Eltern, die sich nur wichtig genommen haben, aber nicht wirklich für ihr Kind so da waren, wie es das von ihnen gebraucht hätte. Diese Eltern hängen dem Kind ständig irgendwie im Nacken und üben Druck aus.
Eltern, die keine gute, gesunde, verständnisvolle und innige Bindung zu ihrem Kind aufgebaut haben, werden am Ende das ernten, was sie über viele Jahre gesät haben. Niemand braucht sich dann wundern dass er Distanz vom Kind erntet, sowie der Bauer sich nicht wundert, wenn seine Ernte Kartoffeln und nicht Erdbeeren sind. Er weiß, er hat ja Kartoffeln gesät.

Wenn Eltern und Familie allerdings der Meinung sind, sie haben Schönheit, Liebe und Gutes gesät und bekommen dann fälschlicher Weise zu erleben, dass das Kind lieber ohne sie ihr Leben leben will, dann hat aus meiner Sicht irgendjemand das Prinzip von Saat und Ernte nicht richtig verstanden. 

Die Frage, wer das nicht verstanden hat, kann sich jeder gerne selbst beantworten.

Ich persönlich habe da ehrlich gesagt schon eine leichte Tendenz. 😉

Ich freue mich über Ihre Wertschätzung:

DANKE!

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