Jede scheinheilige Gutmenschfamilie braucht eine Schattenfigur


Scheinheilige Gutmenschfamilien sind aus meiner Sicht keine Seltenheit und finden sich in allen Gesellschaftsschichten wieder. Eine Gutmenschfamilie ist sich untereinander nicht unbedingt immer einig, aber dann, wenn es darauf ankommt, einen Sündenbock, einen Bösewicht zu finden und wenn es darum geht, ihre eigene verdrängten Schattenseiten nach außen zu projizieren, dann ziehen sie an einem Strang.

Für jeden, der als Schattenfigur, als Sündenbock von einer Gutmenschfamilie auserkoren wird, ist im letzten dramatischen Akt mitunter in Lebensgefahr. Derjenige, der sich einer Gutmenschfamilie nicht unterordnet, ist quasi der Feind, der zumindest aus der Familie hinausgedrängt wenn nicht sogar zerstört werden muss.

Diese Mittel, denen Gutmenschen zur Verfügung stehen, sind äußerst clever und weniger offensichtlich aggressiv, so dass die Außenwelt selten erkennen kann, dass hinter der Fassade der Gutmenschfamilie enormes Gift, Boshaftigkeit und Aggressionen fließt. Nein, diese Familienmitglieder sind sehr bedeckt, erscheinen unschuldig, nachsichtig, gütig und dem Sündenbock gegenüber als Opfer.

Und wer ist diese Schattenfigur?

Auch wenn es Schattenfiguren im Außen gibt, wie zum Beispiel der Nachbar, der Autofahrer, der Chef,… meine ich hier die Schattenfiguren, die in der Familie aus den eigenen Reihen kommen, wie z.B. der, der es sich erlaubt, der Familie den Rücken zu kehren. Ich meine das schwarze Schaf, das sich einem Familiensystem nicht unterordnen will und sich nicht weiter von dem einengenden Familiensystem die Luft zum Atmen nehmen lassen will. Ich meine denjenigen innerhalb der Familie, der sich aus den krankhaften, gestörten und zerstörenden Familienzwängen und Scheinheiligkeiten befreien will und SEIN Leben, nach seinen eigenen Wünschen, Wertvorstellungen und Bedürfnissen leben will.

Solch eine Schattenfigur ist meiner Beobachtung meist das Kind oder bei mehreren Kindern, eines der Kinder. Es ist die Tochter, der Sohn, die nicht brav beim familiären Schauspiel ihre Rolle einnehmen, sich nicht unterordnen und gegen das Familiensystem rebellieren.

Die Rolle als Schattenfigur einer Gutmenschfamilie kann eine enorme Last sein, die, wenn man es nicht schafft, sich dieser Rolle zu entledigen, so unerträglich schwer sein kann, dass es bis hin zur Selbsttötung kommen kann. Aber selbst wenn sich die von der Familie auserkorene Schattenfigur nicht selbst umbringt, kann die negative Familienenergie, die ihr entgegengebracht wird, zutiefst belastend, lähmend und vernichtend sein.
Das hängt für mich vor allem davon ab, wieviel Gutmenschen sich in einer Familie verbunden haben und ob der Sündenbock von anderen Familienmitgliedern, wie von einem Geschwister, einer Tante, einem Onkel in Schutz genommen wird.
Sind die Gutmenschen in der Familie ein eingeschworener Haufen, wo bis auf die Schattenfigur alle zusammenhalten, (Großeltern, Eltern, Geschwister, Tante, Onkel, …) dann sieht sich der schwarze Peter einer Familienwand gegenüber, die wie ein Feuerball der Negativität über ihn hinweg rollt.

Hier braucht es viel und starke innere und äußere Abgrenzung von der Familie. Es braucht Menschen, die einem beistehen, eventuell auch in Form eines Therapeuten, der empathisch, verständnisvoll und mitfühlend ist. Therapeuten, die sich dessen bewusst sind, dass es tief giftige Familiensysteme gibt, die auch vor der Zerstörung eines eigenen Familienmitgliedes keinen Halt machen.

Der Versuch, Gutmenschen über ihr Gewissen erreichen zu können, ist so gut wie unmöglich. Denn Gutmenschen glauben von sich aus gesehen, dass sie ja nur Gutes tun und nur edelmütig und gewissenhaft handeln. Der Grund, warum Gutmenschen so gut von sich denken ist, liegt meiner Ansicht nach daran, dass sie sich von ihren Schattenseiten, ihre Traumen, ihre tiefen inneren Verletzungen abgespaltet haben und diese nicht ausreichend oder gar nicht reflektiert und geheilt haben.
Was aus meiner Sicht dazu führt, dass sich der scheinheilige Gutmensch ein Bild mit der tiefen Überzeugung von sich selbst erschaffen hat, wo er sich unendlich rein, edel und gütig sieht, den keine Schuld für was auch immer trifft und der einem anderen nichts zu Leide tun kann.
Das Bild, das toxische Gutmenschen von sich haben, sorgt auch dafür, dass für sie in erster Linie nur eine Form der Gerechtigkeit existiert und zwar die Selbstgerechtigkeit, die oft so maßlos ist, dass sie auch die bestehenden gesetzlichen Rechte anderer ignoriert.

Solche Selbstgerechtigkeit und Ignoranz finden meist dann statt, wenn es zu familiären Berührungspunkte kommt, wie z.B. der Tod eines Familienmitgliedes und ein vorhandenes Erbe. Da wird vielleicht dem unwissenden und unliebsamen Familienmitglied der Tod des Verstorbenen vorenthalten oder die Beerdigung wird eigenmächtig veranlasst, ohne das schwarze Schaf der Familie mit einzubeziehen. Oder Teile des Erbes werden eigenmächtig unterschlagen, unter den Gutmenschen aufgeteilt, sowie Dinge aus der Wohnung heimlich entwendet und das alles, obwohl es gesetzlich verboten ist. Der Gutmensch sieht sich allerdings nicht als Gesetzesbrecher, denn er lebt in dem Glauben, das Recht dazu zu haben in seinem Sinne zu entscheiden. Sein eigenes inneres Wertesystem, mit seinen tausend guten Argumenten weiß es besser und ist für ihn das Einzige was zählt.

So wie bei Gutmenschen in der Familie, als auch allgemein gesehen, ist man gegen solche Menschen im Grunde chancenlos. Echte Fairness, ein echter reflektierter Umgang, sowie echte respektvolle und gewaltfreie Kommunikation sind für den sich selbst ernenannten Gutmenschen ein Fremdwort. Den Edelmut, den der Gutmensch in sich sieht, entstammt allerdings nicht wahrer Edelmüdigkeit, sondern der Verdrängung seiner eigenen Schattenseiten und ist in Wahrheit tief toxisch und zerstörungswütig.

Gutmenschfamilien sind aus meiner Sicht zutiefst gestört und verstörend und sind nicht in der Lage, moralisch gesunde und menschlich gewissenhafte Entscheidungen gegenüber dem aus ihrer Sicht Unmut bringenden Familienteil treffen zu können. Es gibt bei Gutmenschenfamilien keinen Raum, wo man einfach nur sagt, der andere ist und denkt eben anders, ich kann ihn nicht leiden aber dennoch habe ich nicht das Recht, ihn deswegen herablassend, verachtend entwertend, demütigend, verletzend, übergehend und ausgrenzend zu behandeln, besonders dann nicht, wenn es, wie im obigen Beispiel, um einen bedeutsamen Todesfall eines Familienmitgliedes geht.
Sie können nur Daumen hoch oder Daumen runter, vollkommen gleichgültig, in welcher Situation sich das zu prügelnde Familienmitglied befindet. Es gibt kein dazwischen, keine Empathie, kein Mitgefühl, kein Interesse, ob das schwarze Schaf der Familie selbst gerade in einer schwierigen Zeit, wie Trennung, Krankheit, Geldproblemen oder sonst was sich befindet. Es geht den Gutmenschen denke ich in erster Linie darum, wie bekomme ich, meine mich eigenen belastenden Schattenenergien nur schnell genug auf das abtrünnige Familienmitglied übertragen.

Aus diesem Grund ist es einer Gutmenschgemeinschaft nicht möglich, das unwillkommene Familienmitglied respektvoll zu behandeln und sie brauchen es für ihr eigenes Wohlgefühl und ihren niedrigen Selbstwert, von oben herab zu agieren. Dieses von oben herab, ist für Gutmenschen in einer Familie ein zentraler und existenziell wichtiger Umgang und trifft immer den, der sich in der schlechteren Position befindet, wie etwa bei Eltern zu ihrem Kind und bei älteren Geschwistern zu ihrem Jüngeren.

Daher rette sich wer kann, wenn Sie merken, dass Sie sich in einer Gutmenschfamilie wieder finden und Gefahr laufen, darin unterzugehen und passen Sie gut selbst auf sich auf. Denn von der eigenen Gutmensch-Herkunftsfamilie, werden Sie meiner Beobachtung nach, mit großer Wahrscheinlichkeit, so traurig es auch klingen mag, außer Ausgrenzung, Ablehnung, Kälte, Härte, Schuldgefühle, seelische und verbale Prügel nichts bekommen.


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4 Gedanken zu „Jede scheinheilige Gutmenschfamilie braucht eine Schattenfigur“

  1. Kränkung – das Gefühl, das aus obigen Beschreibungen aus meiner Sicht entsteht, ist Kränkung.

    Der einzige Weg, den ich aus Kränkungsgefühlen herauszukommen kenne, ist sich der Selbstdefinition als Opfer der anderen – der innerlich als schuldig und charakterlich unzulänglich definierten Seite – zu entziehen.

    Das zu schaffen, gelang mir bisher nur durch die Anstrengung des Perpektivwechsels: Kränkung ist oft auf beiden Seiten und keine versteht die andere. Jede Seite findet unüberwindbare gedankliche Erklärungen und Konstrukte, um die eigene Kränkung zu rechtfertigen und den jeweils anderen zu beschuldigen.

    ICH leide, wenn ich in der Kränkung bleibe. ICH leide, wenn ich an schwarzweißen Täter-Opfer-Konstrukten festhalte.

    Aus meiner Sicht gibt es nur eine Situation, in der ich eindeutig Opfer werden kann:

    Wenn ich eindeutig vollkommen hilflos und unbeteiligt bin und jemand anders mir – ohne Kränkung oder Gewalt durch mich erfahren zu haben – Kränkung oder Gewalt antut.

    Alles andere hat zwei Seiten. Ich bleibe lebenslang in der Verstrickung mit meinen “Tätern”, wenn ich mich – außerhalb obiger Kriterien – irgendwo als reines “Opfer” definiere. Es wird mich gefangen halten. ICH werde leiden.

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  2. Wow, ja, das kommt mir sehr bekannt vor!
    Ich habe beinahe 50 Jahre lang eine gute Miene zu dem Spiel gemacht.
    Interesse für meine schwierige berufliche Situation ein Leben lang (wurde in eine Lehre gedrängt, die ich nicht machen wollte) gleich Null.
    Unterstützung als Kind oder später = Null.
    Psychische und physische Misshandlung, bzw. Vernachlässigung, 20 Jahre lang.
    Als die Erwartungshaltung meiner Eltern an mich immer grösser wurde (plus ständige Kritik), habe ich es nicht mehr ausgehalten und mich verabschiedet.
    In der Folge hat sich meine Schwester von mir abgewendet.
    Lange habe ich unter einem schlechten Gewissen gelitten. Wut und Groll.
    Nun wo es mir langsam besser geht merke ich, dass eine gewisse Weichheit eingekehrt ist, vielleicht ein Schritt in Richtung verzeihen.
    Kontakt möchte ich aber keinen mehr.
    Ich hoffe, ich schaffe mir damit kein schlechtes Karma.
    Das ist noch meine einzige Befürchtung 🙁

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  3. “Sie brauchen es für ihr eigenes Wohlgefühl und ihren niedrigen Selbstwert, von oben herab zu agieren.”
    Leider ist das so……….
    Dieser Artikel beschreibt exakt mein Leben, dass ich fast verloren hätte.
    Es braucht eine Weile um solche Systeme zu durchschauen. Hier wird sehr perfiede
    gearbeitet.

    Ich habe mich aus Selbstschutz, auch wenn es unheimlich hart war, komplett aus dem
    Familiensystem verabschiedet. Es ist nicht möglich hier auch nur ansatzweise eine
    Einigung zu erzielen. Selbst auf das Erbe habe ich komplett verzichtet, denn auch dieses
    enthält m.E. toxische Energie.

    Erst jetzt fange ich Stück für Stück wieder an zu leben.
    Es ist zudem wichtig, sich bewusst aus der Opferrolle zu befreien und zu vergeben.
    Ich kann nur jedem raten, der sich in einer solchen Situation befindet, den “gordischen
    Knoten” zu zerschlagen. Erst dann bist du wirklich frei.

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    • …sehr schmerzvoll sich aus einem solchen Knoten zu befreien. Und sich immer wieder zu hintersinnen, hinterfragen, warum keiner erkennt, klar sieht?
      Nur man selbst scheint nicht verblendet…gleichzeitig die Frage, oder ist man auch verblendet?Möchte nicht deren System “klar” erkennen?
      Hat es den einzigen Grund sich dabei zu finden, daran zu wachsen, zu entwickeln?…

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